Die Sache mit dem Vertrauen
Warum es sich lohnt, in das Thema tiefer einzutauchen
Das Thema Vertrauen ist in vieler Munde. Doch was macht es für die Arbeitswelt so besonders und wertvoll? Warum lässt sich beim Vertrauen von einer psychologischen Superkraft sprechen? Und wie kann sich Vertrauen entwickeln?
by Nadine Thomas & Franziska Naumann
Vermutlich haben Sie es schon oft selbst erfahren: für gute Teamarbeit ist Vertrauen nicht alles, aber alles ist nichts ohne das Vertrauen ins Team!
Doch was genau ist eigentlich dieses „Vertrauen“?
Wenn Psychologinnen und Soziologen von Vertrauen sprechen, steckt da dieses wohltuende Bauchgefühl von Sicherheit, innerer Ruhe und Zuversicht hinter. Das schöne Gefühl, das aufkommt, wenn man das subjektive Empfinden hat, vertrauen zu können.
Während es sich beim Selbstvertrauen, um das Vertrauen in die eigene Person dreht, wird dieses vom interpersonalen Vertrauen unterschieden. Letzteres beschreibt das wahrgenommene Ausmaß, in dem sich eine Person auf eine andere verlassen kann, beispielsweise auf ihre Kompetenz oder Integrität.
Vertrauen tritt in unsicheren Situationen auf. In Situationen, deren Ausgang sich nicht vorwegnehmen lässt und ein gewisses Risiko beinhaltet. Wenn für das Ergebnis der Situation keine Gewissheit besteht und wir Teile der Verantwortung für das Ergebnis an andere Personen abgeben. Dabei gilt: Je größer der unsichtbare Teil des Ergebnisses, umso mehr Vertrauen ist nötig.
Zugleich ist Vertrauen ein zerbrechliches Gut. Über einen langen Zeitraum hinweg aufgebaut, kann es innerhalb eines Moments zerstört werden.
Welche wichtige Funktion hat Vertrauen und was ist seine Wirkung?
Vertrauen macht uns das Leben einfacher! Es ist nämlich eine wirksame Form der Reduktion sozialer Komplexität (Luhmann, 1989). Es hat die wichtige Funktion der Entlastung unserer Informationsverarbeitung und unserer mentaler Kapazität (Rotter, 1954). Bleibt Vertrauen aus, investieren wir Gedanken, Aufmerksamkeit und Energie in die Kontrolle und Prüfung der Aussagen anderer. Dann müssen wir ordentliche Anstrengungen unternehmen, um ein gutes Gefühl zu erhalten.
Vertrauen ermöglicht damit auch, dass der einzelne Mensch in seiner Umwelt handlungsfähig bleibt, denn: „Wo es Vertrauen gibt, gibt es mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns“ (Luhmann, 1989). Deshalb ist Vertrauen nicht nur eine wichtige Größe für die mentale Kapazität — sondern auch eine relevante Ressource fürs Kreative. Nach der Investmenttheorie der Kreativität (Sternberg & Lubart, 1991) ist Vertrauen die Eigenschaft eines sozialen Umfelds, in dem Kreativität entstehen kann.
Kurzum: Vertrauen ist ein wichtiges soziales Gut! Ein Team, das einander vertraut, kann sich auf die eigentlichen Arbeitsthemen fokussieren. Und nur, wenn das Prinzip der psychologischen Sicherheit zu seiner DNA gehört, kann es erfolgreich, mutig und innovativ werden.
Was aber passiert, wenn Vertrauen fehlt?
Fehlt mir Vertrauen, muss ich von einer prinzipiellen Unberechenbarkeit der Anderen ausgehen. Dabei kann sich mein fehlender Vertrauensvorschuss auf unterschiedliche Ebenen (Mayer et al., 1995) beziehen:
- Bei fehlender Kompetenzerwartung, bin ich mir unsicher, ob die anderen Teammitglieder die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen, ihre Aufgaben kompetent zu meistern.
- Bei einer niedrigen Integritätserwartung, zweifle ich an der Glaubwürdigkeit, also daran, dass sich das andere Teammitglied nach seinen postulierten Idealen und Werten verhält.
- Und bei fehlender Erwartung des Wohlwollens, bin ich unsicher, ob mir mein Gegenüber wohlgesonnen und positiv zugewandt ist und nicht nur sein Eigeninteresse im Blick hat.
Fehlt mir die Erwartung, dass mein Gegenüber kompetent, integer und wohlwollend ist, befinde ich mich in einer „chaotischen, nicht vorhersagbaren Umwelt“. Und solch eine Umwelt produziert Angst, da sich in Chaos nicht vertrauen lässt (Luhmann, 1989).
Viele Menschen reagieren auf Angst automatisch mit Kontrolle. Es ist die prominenteste Strategie, Sicherheit zurück zu gewinnen. Erscheint uns der Kollege also nicht vertrauenswürdig, investieren wir in hohem Maße in die Informationsbeschaffung und Absicherung (Arbeits- und Ergebniskontrolle).
Jedoch zahlen wir mit diesem Verhalten einen ordentlichen Preis. Denn in der Folge heißt das: Wenn wir permanent mit der Reduktion der Unsicherheit beschäftigt sind, wird sich wenig Energie freisetzen lassen, um in einen kreativen und produktiven Arbeitsmodus zu kommen. Wir werden als Team weit unter unseren Möglichkeiten bleiben.
Woran lässt sich Vertrauen erkennen?
Vertrauen ist immer in die Zukunft gerichtet (Luhmann, 1989). Und damit ergibt es sich aus der Erfahrung, dem persönlichen Umgang. Das wiederum bedeutet: die sogenannte „Vertrauensbildung“ bedarf Zeit.
„Schon bei oberflächlichem Hinblick ist am Thema Vertrauen ein problematisches Verhältnis zur Zeit erkennbar. Wer Vertrauen erweist, nimmt Zukunft vorweg. Er handelt so, als ob er der Zukunft sicher wäre.“ (Luhmann, 1989)
Wir brauchen also Verhaltensausschnitte und Beobachtungsmöglichkeiten, die uns versichern, dass sich die einzelnen Teammitglieder in „kritischen Situationen“ kompetent, integer und uns gegenüber wohlwollend verhalten.
In Bezug auf die Kompetenzerwartung, beispielsweise, bedeutet das: Wenn mich mein Team als kompetent einschätzt, werden meine Entscheidungen und wird meine Arbeit nicht kontrolliert, sondern wertgeschätzt. Selbst dann, wenn ich mit ausgefallenen, kreativen und neuen Ideen um die Ecke komme. Wenn ich querdenke und im Prozess querschieße. (Ambiguitätstoleranz)
Zentral dabei ist auch, wie mit meinem Scheitern umgegangen wird. Was passiert, wenn ich eine falsche Entscheidung getroffen habe, wenn etwas schiefgegangen ist oder der Erfolg einmal ausbleibt? Werde ich dann an den Pranger gestellt? Oder steht das Team auch bei einem Misserfolg hinter mir, zeigt es mir, dass es an meine Kompetenz glaubt und daran, dass ich in der Situation für die beste Lösung alles gegeben habe? (Fehlertoleranz)
Wenn ich psychologische Sicherheit verspüre, fühle ich mich von den anderen Teammitgliedern verstanden und akzeptiert. Dann reden wir offen miteinander und ich erhalte das Zutrauen, Risiken eingehen zu können. Zudem nimmt es mir das Team nicht übel, wenn ich einen Fehler eingestehe. (Risikokompetenz)
Was kann ich tun, um Vertrauen zu schaffen?
Vertrauen lässt sich nicht ohne jeden Anhaltspunkt und ohne gemeinsame Vorerfahrungen schenken (Luhmann, 1989). Vielmehr bedarf es der gemeinsamen „Geschichte“ als Hintergrundsicherung! Habe ich solch eine Geschichte (noch) nicht, dann muss ich sie schaffen. Dann gilt es das Vertrauen durch unterschiedliche Situationen gemeinsam mit dem Gegenüber aufzubauen.
Das heißt: Vertrauen kann man nicht einfordern. Vertrauensbildung ist ein längerer, anhaltender, dauerhafter Prozess. Denn das Vertrauen entsteht erst in einem Interaktionsfeld. Und damit braucht es Zeit und Raum.
Um vertrauen zu können, muss es mir wiederholt gelingen, die „Zukunft vorherzusagen“. Dann muss ich mein „relativ sicheres Erwarten“ immer und immer wieder vom Gegenüber bestätigt bekommen. Dabei spielt die Sichtbarkeit des Ergebnisses der jeweiligen „kritischen Situation“ eine entscheidende Rolle.
Mit Blick auf die Integrität, beispielsweise, muss mir das Gegenüber wiederholt authentisch erscheinen. Dafür müssen Verhalten und Worte von mir als stimmig empfunden werden. Bereits minimale Abweichungen können irritieren und dauerhaft erlebt zu Misstrauen führen, welches nicht einmal klar in Worte zu fassen oder begründbar sein muss.
Kurzum: Wenn mir vertraut werden soll, muss es mir gelingen für mein Gegenüber viele, viele vertrauensvolle Momente zu schaffen. Dann gilt es durch mein Verhalten aktiv Unsicherheiten und einer Kultur der Angst entgegen zu wirken und gemeinsam eine verlässliche Geschichte als „Hintergrundsicherung“ zu schreiben. Vertrauen lernen wir nur durch die positive Erfahrung und das persönliche Erleben mit dem betreffenden Gegenüber — und das gilt auch in der Arbeitswelt.
Literaturverweis:
Luhmann, N. (1989). Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: Lucius & Lucius.
Mayer, R. C., Davis, J. H. & Schoorman, F. D. (1995). An integrative model of organizational trust. The Academy of Management Review, 20, 709–734.
Rotter, J. B. (1954). Social learning and clinical psychology. New York: Prentice-Hall.
Sternberg, R. & Lubart, T. (1991). An investment theory of creativity and its development. Human Development, 34, 1–31.
Zuerst erschienen: Am 10. Juni 2020 im Blog auf beratungsbuero-thomas.de